Silvia Eiblmayr: Luiza Margan

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In Luiza Margans Ausstellung in der Startgalerie des MUSA geht es um Skulptur und um den öffentlichen Raum, also ein breites künstlerisches Feld, das vor allem in den letzten Jahrzehnten zunehmende Bedeutung erlangt hat. Luiza Margan, die sich damit schon immer beschäftigt hat, hat zu diesem Thema im Vorjahr während eines Stipendiums in Mexiko eine luzide Arbeit entwickelt.

In ihrer Installation hier hat sie nun wichtige Fragen dazu verdichtet – nämlich, was die Skulptur – in den 1960er Jahren hieß das noch Plastik – und den öffentlichen Raum definiert oder definieren könnte und welchem Wandel diese beide Kategorien in ihrem Verhältnis zueinander unterworfen waren. Sie macht das am Beispiel eines sehr prominenten Kunstprojekts fest, das 1968 in Mexiko City realisiert wurde, das die Die Straße der Freundschaft heißt, dazu gleich mehr.

 

Kurz zum Titel notwithstanding, den Luiza Margan für ihre Ausstellung zu diesem komplexen und spannenden Thema gewählt hat. Im englischen notwithstanding, das auf Deutsch trotzdem, auf Spanisch obstante heißt, schwingt für uns klanglich besonders das mit, was ihr Projekt auf vielschichtige Weise durchzieht: das Widerständige: Das Widerständige zeigt sich in ihrem kritischen aber höchst produktiven Blick, den sie auf die Geschichte und auf die Gegenwart richtet, zugleich geht es ihr auch darum, sichtbar zu machen, wie sich das Widerständige in den differenzierten und teilweise paradoxen Prozessen selbst manifestiert, denen La Ruta de la Amistad, so der spanische Name der Straße der Freundschaft, unterworfen war und ist.

 

La Ruta de la Amistad war ein mit höchstem Prestige versehenes, von einem mexikanischen Künstler initiiertes künstlerisches Unternehmen, das 1968, parallel zu den Olympischen Spielen in Mexico realisiert wurde, aber unvollendet blieb. Durchaus vergleichbar dem global-politischen olympischen Gedanken als gleichsam ideales völkerverbindendes Projekt – der Begriff „Global Village“ taucht schon 1932 beim ersten Olympischen Dorf in Los Angeles auf – wurden 22 damals renommierte internationale Künstler eingeladen (darunter z.b. der US-Amerikaner Alexander Calder, der in Kalifornien lebende Österreicher Herbert Bayer, oder der Pole Grzegorz Kowalski); Der Auftrag war, großformatige Skulpturen in Beton zu entwerfen, die dann im öffentlichen Raum entlang einer 17 km langen Stadtautobahnstrecke, dem Periférico, in Mexico-City platziert wurden. Calders berühmte Skulptur El Sol Rojo//Die rote Sonne, die einzige aus Stahl, wurde direkt neben dem „Azteken Stadion“ aufgestellt.

 

Das Originalplakat, das Sie hier sehen, das Margan in einem Archiv erwerben konnte, zeigt den idealistisch-utopistischen Anspruch dieses Kunstprojekts – eine scheinbar unendliche „Achse der internationalen Freundschaft“, deren Fluchtlinie am Horizont verschwindet. Diesem großen Ideal der „Freundschaft“ steht jedoch als brutale Gegensatzfigur die zeitgleiche Zerschlagung der Studentenrevolte in Mexico City von 1968 gegenüber. Die Gewalt, mit der der Staat, d.h. die seit 1920 allein regierende PRI, die Partei der Institutionellen Revolution, vorging, war extrem, nicht zuletzt um die Olympischen Spiele sozusagen „ungestört“ ablaufen zu lassen, mit hunderten Toten, tausenden Verletzten und Gefangenen. Auf Grund der Revolte blieb das Skulpturenprojekt auch unvollendet.

 

Luiza Margan ist im wahrsten Sinn des Wortes dem nachgegangen, was aus dieser von Anbeginn widersprüchlichen Idee geworden ist. In langen schwierigen Fußmärschen in vom Autoverkehr umtosten Zonen machte sie sich auf die Suche nach den Skulpturen, um mit eigenen Augen herauszufinden, dass das Projekt in der ursprünglich gedachten Form gescheitert war. Die einst sicherlich ebenso als monumentales Erfolgsprojekt der Moderne angesehene Stadtautobahn wurde mit einer zweiten Ebene überbaut, in der Stadtperipherie hatten sich Shopping Malls, Lagerhäuser usw. unkontrolliert ausgebreitet. „Das „Skulpturen-Projekt“, schreibt Margan im Folder zu der Ausstellung, „wurde schließlich von der expandierenden Städteplanung geschluckt, was zur Folge hatte, dass diese Arbeiten nahezu unsichtbar wurden und im Lauf der Jahre immer mehr von Zerstörung bedroht waren.“1

 

Margan nahm sich eine der Skulpturen nach der anderen vor und kam gerade zum richtigen Zeitpunkt, um auch von jener Rettungsaktion etwas mitzuerleben, die nach Jahrzehnten der Vernachlässigung durch eine private Aktion und Sponsoren in letzter Zeit unternommen wird. Die Skulpturen werden, einem musealen Prinzip folgend, nun alle an einem einzigen Ort aufgestellt, allerdings innerhalb eines gigantischen Autobahnkleeblatts, das ein nicht weniger hybrides und chaotisches Umfeld darstellt als die Standorte vorher. In der Videoarbeit rerouting sehen Sie, wie eben eine solche Monumentalskulptur, eine durchaus aus poppige Arbeit des marokkanischen Künstlers Mohamed Meleh mit dem Titel Charamusca  – das ist eine mexikanische gedrehte Zuckerstange – mit entsprechend großem Aufwand demontiert und abtransportiert wird.

 

Margan nahm die einzelnen Skulpturen nicht nur mit der Fotokamera unter ihren sehr spezifischen Blickwinkeln auf – eine kleine Auswahl dieser Fotos sehen Sie hier. Zudem ging es ihr darum, was sie auch in ihren früheren künstlerischen Auseinandersetzungen mit monumentalen Skulpturen oder Denkmälern gemacht hatte, nämlich sich mit den hier wie Findlinge in der Gegend ausgesetzten Kolossen auch körperlich in ein Verhältnis zu setzen,

sich mit ihnen zu messen – der Maßstab ist diesem Wort ja miteingeschrieben. Die mexikanische Künstlerin Maya Santiago, eine geübte Kletterin, die Margan begleitete, hat sich, wie man sieht, mit großer physischer Anstrengung ziemlich erfolgreich daran gemacht diese Produkte einer gleichsam „zweiten Natur“ zu bezwingen.

 

Luiza Margan setzt, 50 Jahre danach, in notwithstanding dem Monumentalismus der späten Moderne ihr eigenes, ich nenne es, abstrahiert-feinfühliges Konzept von Skulptur entgegen. Mit den am Boden arrangierten würfelförmigen Betonsteinen unterbricht sie die Längsachse und sie spricht mit ihnen nochmals das Thema des Maßstabs an, ein wichtiges Moment in diesem mit seinen Pfeilern und seiner Höhe durchaus auch monumentalen Raum. Die beiden eleganten und zarten Objekte aus Metall sind weitere skulpturale Elemente, mit denen Margan den Raum strukturiert und dadurch, vergleichbar dem, was sie in den Fotos und in dem Video macht, unsere Wahrnehmung auf das Verhältnis von Körper und Umraum in Gang setzt. Zugleich bilden diese Metallskulpturen auch eine direkte Referenz auf die Alltagsästhetik in Mexiko City, wo ähnlich einfach gebaute Gitterkonstruktionen, die für die Präsentation von Zeitungen und anderen Waren verwendet werden, den urbanen Raum beherrschen und sich in ihrer eigenen, flexiblen Widerständigkeit gegen die übermächtigen Großstrukturen behaupten. Weiters, sie haben es sicher bemerkt, hat Margan auch den städtischen Raum dieser Stadt miteinbezogen, indem sie einige der Fotos an den Fensterscheiben angebracht hat und damit zwei sehr unterschiedliche urbane Räume gewissermaßen miteinander verschneidet.

 

Luiza Margan hat sich in Mexico City auf die Spuren einer späten, durchaus poppigen Moderne begeben, deren Qualität sie interessiert, aber eben auch deren kontextuelles und im weitesten Sinn politisches Scheitern. Sie gibt uns einen spannenden Einblick in ein scheinbar vergangenes Kapitel und zeigt in ihrer sinnlichen und zugleich intellektuellen Einlassung auf diese Kunst auch ihre Anerkennung, speziell der bedeutenden Moderne Mexikos; Nicht zuletzt ist das auf dem Foto mit dem kritischen Titel unshared responsibility auf ihrem Folder zu sehen, ein Ausschnitt der berühmten Torres de Satélite von Luis Barragan aus den Jahren 1957-58 (und Matthias Goeritz, painter Jesús Reyes Ferreira), ein gigantisches Stadtmonument in einem „Satellitenstadt“ genannten Teil von Mexiko City, das aus fünf monochrom gefärbten Türmen, die zwischen 50 und 20 Meter hoch sind, besteht.

 

Wie am Anfang gesagt, Luiza Margan hat in ihrer Ausstellung etwas verdichtet und sie macht das in einem subtilen Reduktionismus. Gerade in der Form des Weglassens gelingt es ihr, ihr Thema offen zu halten und uns, das Publikum, durch eine ganz konkrete Raumerfahrung dafür zu sensibilisieren.

Der Folder bzw. der Text, den Luiza Margan verfasst hat, ist ein Teil dieser Ausstellung.

 

 

Anmerkungen

1 Luiza Margan, Text im Folder zur Ausstellung, 2016.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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